Niyâzî-i Mısrî

ZUR SCHREIBWEISE: Wir verwenden hier die Umschrift aus dem Osmanischen nach dem türksichen Transkriptionssystem der Islam Ansiklopedisi (IA), jedoch in vereinfachter Form, da gewisse Buchstaben nicht im Html-Code des Internet darstellbar sind. So kommt diese Schreibweise dem Neutürkischen nahe.
Die gängigen, nichtwissenschaftlichen Schreibformen sind ohne Transkriptionszeichen und Izafetverbindung, so findet man den Namen Niyâzî-i Mısrî als Niyazi Misri.


Das Leben von Niyâzî-i Mısrî

Niyâzî-i Mısrî wurde am 12.2.1618 in Soğanlı bei Malatya, in der Osttürkei als Sohn des Soğancı Zade Ali Çelebi geboren. Nach einer herkömmlichen Kur’ânschule begann er weiter Theologie zu studieren, und schloß sich entgegen der Naksbendî-Ordensverbindung seines Vaters dem Halvetî-Orden an und blieb sein gesamtes Leben diesem Orden zu getan. Es war sein lebenslanges Streben die äußeren und inneren Wissenschaften des Islam zu verbinden. Er reist zu Studienzwecken 1638-1639 nach Diyarbakir, Mardin, Bağdat und Kerbelâ.
Studien in Rechtslehre, Kur’ânexegese, Hadith und Logik brachten ihn 1642 nach Kairo, das damals Mısr genannt wurde.

Er schloß sich dort der Kadiri-Tarika an und verweilte in der berühmten Şeyhuniye Tekke. In einem Traum wurde ihm vom Ordensgründer Abdülkadir Geylani mitgeteilt, dass er entgegen dem Rat des dortigen Şeyhs die äußernen und inneren Wissenschaften des Islam gemeinsam weiter studieren solle und dass sein mürşid-i kâmil, der vollkommene Meister, sich nicht in Kairo befinde. Niyâzî macht sich mit der Erlaubnis des dortigen Kadiri-Şeyhs auf die Suche nach seinem eigentlichen Meister. Es vergehen einige Jahre bis er in der Person des Ümmi Sinan Efendi aus Elmalı, in der Westtürkei, seinen Meister findet.
Dort durchläuft er eine strenge Selbsterziehungsphase (seyr-i süluk) und wird kurz vor dem Ableben des Ümmi Sinan 1651 nach Uşşak geschickt, um bei dem Halvetî-Yiğitbaşı Şeyh Mehmet Efendi seine Reifezeit zu vollenden. 1656 wird er als 39 Jähriger zu Halvetî-Şeyh. Zu dieser Zeit nehmen aber auch die Übergriffe von militanten Salafî-Fundamentalisten im Osmansichen Reich gegen Sufis, die Gebetstänze praktiziern, zu, und Mısri Efendi muss seine ersten beiden Posten in Uşşak und Kühtaya wegen ständiger Bedrohungen hinter sich lassen und geht nach Bursa. Dort errichtet ihm ein reicher Kaufmann ein Konvent im Stadtzentrum bei Şeker Hoca Mahalle, und zahlreiche Bürger aus Handel und Militär nehmen an seinen Zeremonien teil und werden Schüler von ihm. 1668 wird das Konvent fertiggestellt und erhält den Namen şekkeristan-ı hakayık Dergâh-i Mısrî. Aus seiner ersten Ehe mit Gülsüm Hanim gingen sechs Töchter hervor, wovon aber keine die Jugend erreicht hatte. Nach dem Verscheiden seiner Frau heiratet er wieder und es wird sein Sohn Ahmet geboren.
Um die zunehmenden Übergriffe der Sufi-Gegner, den Kâdîzadelîs, die ihre Untersützung von Vânî Efendi, dem Hofimam des Sultan Mehmed IV. erhalten, Einhalt zu bieten, sucht er 1672 in Edirne und Istanbul die Unterstützung aus den Regierungskreisen der Köprülüzâdes.


Doch den Hofintrigen erlegen, und wegen seiner Beibehaltung Gebetstanzriten, die ab 1666 verboten wurden, verbannte man ihn 1673 nach Rhodos. Der Hofbeamte Azbi Çavuş, der Niyâzî-i Mısrî nach Rhodos bringen sollte, wird von den besonderen Eigenschaften des Şeyh überzeugt und wird sein Schüler. Er dient ihm 18 Jahre und wird letztlich sein Stellvertreter in Istanbul in Merdivenköy als Şeyh der Şah-Kulu Dergâh. Niyâzî Efendi wird nach neun Monaten wieder nach Bursa entlassen.


Doch die Gegner in Bursa haben an Macht zu gewonnen, da auch Vânî Efendi seine Söhne dort als Lektoren in der Hauptmoschee untergebracht hatte. Nach einigen Beschwerdensbrief an die Hohe Pforte, und einem Aufmarsch von Niyâzî-i Mısrî und zahlreichen Schülern in Edirne anlässlich des beginnenden Russenkrieges, sendet man ihn unter einem Vorwand auf die Insel Limnos in Verbannung.


Nach einem Jahr wir die Verbannung aufgehoben, doch Mısrî bleibt in Lemnos bis 1692, und kehrt dann nach Bursa zurück. Doch seine Worte gegen die Unsitten der Regenten, wie auch sein nichtgenehmigter Aufmarsch zur Beteiligung am Österreich-Feldzug nach Edirne, bringen ihn wieder in die Verbannung und Niyâzî-i Mısrî verstirbt kurz darauf auf Lemnos 1694 und wurde auch dort beigesetzt.

Werke des Niyâzî-i Mısrî
Niyâzî-i Mısrî war nicht nur einen charismatische Persönlichkeit, die wesentlich im Konflikt zwischen den Geisteshaltungen im Osmansichen Reich des 17.Jh. gewirkt hatte, er war auch ein begnadeter Dichter, der schon sehr früh Vorlieben für den Derwischdichter Yûnus Emre gezeigt hatte. Seine weiten Kenntnisse über die vahdet-i vücûd-Philsosphie des Sufismeisters Ibn el-Arabî erkennt man in seinen zahlreichen Interpretationsarbeiten über die Propheten, die Gottesnamen und Himmelssphären. Da er ein Mystiker mit viel persönlicher Schau war, sind in seine Arbeiten sehr direkte Beschreibungen von außersinnlichen Erfahrungen, haben aber auch schwer verständliche kryptischen Zahlenmystiken, den kelimat-i cifr. Zeitgenössische Sufimeister betrachten seinen Gedichtband Dîvân-i Niyâzî-i Mısrî als eine hohe geistige Schule, die wesentlichste Elemente des Sufitums zu vermitteln weiß. Der Dîvân ist vor allem didaktischer Natur. Wir werden 28 Gedichte in deutscher Übersetzung beigeben, da dieses Werk bis heute an Aktualität und Direktheit in ihren Bedeutungen außerordentlich ist.

Wietere Arbeiten sind das Frühwerk devr-i arşiyye, über die Himmelssphären und ihren astrologischen Zuordnungen, sowie die berühmte Gedichtsinterpretation des „Unsinngedichtes“ von Yûnus Emre in seinem şerh-i nutk-i Yûnus Emre. Auch sein şerh-i esmâ’ ül-hüsnâ’ ist ein oft zitiertes Werk. Sehr ergiebig an seiner Ideenwelt wie auch an der Beschreibung der widrigen politischen Umstände ist das mevâ’id el-irfân, das in 72 kurzen Kapitel verfasst wurde und neben der Sammlung seiner Aussprüchen,kelimat und den mektûbât, den Korrespondenzen, viel autobiographisches Material enthält.
Seine besondere Liebe zu den Söhnen des Hz. Alî (r.a.v.), des Cousins des Propheten (s.a.v.), Hassan und Hüseyn kommt in seiner risâle-i hasanayn zum Vorschein, worin er ihnen Propheten gleichen Status zuschreibt. Diese Aussage und andere brachten im viele Feinde und nur wenige eracheteten dies als Ausdruck seiner überschwellenden Liebe. Einiges an te’vil, an Auslegung des heiligen Buches, findet man im tefsîr-i sure-i Yûsuf und seiner risâle- i fatihâ. In seiner zweiten Verbannungzeit werden seine Arbeiten apokryphischer und bedürfen einer ausführlichen Hintergrundsinformation. Viele seiner Gedichte wurden vertont und sind in der osmanischen Literatur Beispiele von tief empfundener Lyrik und Spiritualität.

 

Auszüge aus dem
Gedichtband des Niyâzî-i Mısrî

Übersetzt aus dem
Osmanischen


Verlag silsile 2008, Wien
Alle Rechte beim Übersetzer

 

Dîvân-i Niyâzî-i Mısrî

 

1. Ey gönül gel ġayrıdan geç aşka eyle iktidâ
Oh Herz komm,
nimm dir die Liebe zum Vorbild,
und laß von allem anderm ab,
denn alle Leute des Hakikat folgten ihr.

Alles Vorhandene und Erkennbare
war zuvor in der Liebe,
Vor der Liebe fand man keinen Anfang.

Ja, sogar im völligen Entwerden
ist die Liebe immerwährend,
darum sprachen sie:
Die Liebe hat kein Ende.

Oh Gott, von Dir erbitte ich, dass
Deine Rechtleitung der Gefährte sei.
Trenne mein Herz keinen Atemzug
von Deiner Liebe.

Nimm dieses lieblose Verlangen
aus meinem Herzen.
Deine Liebe sei der Vertraute
in den zwei Welten.

Mit Liebe in der Hölle zu sein,
ist dem Liebenden ein Himmel,
doch ohne sie im Himmel,
ist ihm eine Hölle.

Oh Niyâzî, willst du auf diesem Weg
ein geistiger Führer sein,
so füge dich der Liebe,
denn der Propheten und Heiligen
Wegweiser ist die Liebe.
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* Hakikat: Wahrheit; hier: von den vier grossen Entwicklungsstufen des Islam die dritte, die Ebene der Realisierung; die vier Ebenen: şeri'at-Religionsgesetz, äussere Form des Islam; tarîkat-Ordensweg, Methoden der Wandlung; hakikat- die Wahrheit erfahren; ma’rifet-Erkenntnis und die Umsetzung der Wahrheit. ehl-i hakikat: die Wahrhaftigen, die die Essenz der Religion erfassen und durrch die tarîkat- Methoden zur Reife gefunden haben.

 

2. Ey derde dermân isteyen
Oh du, der ein Mittel gegen den Schmerz ersehnt,
genügt es dir nicht, dass
der Schmerz das Heilmittel für dich ist?
Oh du, der Seelenruhe ersehnt,
die Seele ist dir hierfür das Opfer.

Wenn du dich deiner Existenz beraubst,
wird deine Bedrängnis vom Herzen weichen.
Wenn du deine Fremdartigkeiten* vernichtest,
wird der Geliebte bei dir zu Gast sein.

Auf diesem Weg wird sich dir sogleich
ein Vermögen ergeben, glaube daran.
Setze in aufrichtiger Weise auf Gott.
Sieh, ist es nicht so, dass
Er dir Wohltaten erweist?

Vertraue dein Wesen der Einheit an,
eröffne niemanden dein Geheimnis.
Halte dir das Versprechen gegenüber
dem Meister vor Augen.
Dein Meister ist dir Beweis genug.

Der ständig um sich Schauende
kommt am Weg nicht voran.
Sein Ziel wird sich nicht rasch einfinden.
Harre aus vor dem Tor der Gotteserkenntnis,
denn sie wird sich dir zeigen.

Laß ab von Dies- und Jenseits,
laß das Zuvor und Dernach.
Sei! Und laß ab von trockener Liebschaft.
Die Preisung Gottes genügt dir als Begehr.

Erstrebe deinen Geliebten von ganzer Seele.
Gib diese Seele und finde deinen Liebsten.
Löse deine eigene Existenz auf,
auf dass der Geliebte dir existent werde.

All deine Fäulnisse werden heil.
All dein Gift wird zu Honig und Öl.
Die Berge werden zu grünen Weingärten.
Die gesamte Welt wird dir ein Blumengarten.

Gottes Weg ist voll der Kraft,
Seine Dergâh** ist gar grenzenlos groß.
Wenn du Ihm nicht voll Aufrichtigkeit dienst,
wird dir dieser Weg nicht leicht gemacht.

Wenn du dich zur Dienerschaft gürtest,
wenn du morgens und abends weinst,
wenn du wie Wasser schimmerst,
findest du dich gar schnell als Ozean wieder.

Werde zur Nachtigall und singe.
Öffne dich wie die Rose und dufte.
Wirf deine Seele ins Liebesfeuer.
Die Flammen werden dir zum Rosengarten.

Niyâzî, mach dein Gesicht zu Staub.
Reiß dir auf die Brust mit dem Schmerz.
Reinige den Palast deines Herzens,
denn vielleicht kommt der König dir zu Gast.
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* aġyâr- Fremdartigkeit; aber auch was ab von Gott ist.
** Dergâh: pers.: dar-Tor, Osmansich: der, gâh-prs.Platz; Versammlungsstätte,
im besonderen: Ort der Derwischriten

 

3. Ey çarh-ı dûn n'ettüm sana
Oh übles Schicksal, was habe ich dir getan?*
Nie gabst du mir Ruhe.
Vom Anfang bis zum Ende ließest du mich nicht lachen.
Ach Kummer, oh Kummer

Von deinen Fesseln hast du mich nicht gelöst.
Meiner Klage hast du kein Recht gegeben.
Keinen Augenblick hast du mich erheitert.
Ach Schmerz, oh Schmerz

Meine Hand erreichte den Freund nicht.
Mein Weg gelangte zu keinem Erbarmen.
Meine Ruhestätte zeigte sich nicht.
Ach Fremde, oh Fremde

Meine Gefährtin blieb Kummer und Leid.
Sie ging nicht und ließ nicht von mir.
Eine Nachtigall bin ich, getrennt von der Rose.
Ach Trennung, oh Trennung

Gleich Mecnun** stöhne ich,
gleich Ferhad*** jammere ich.
Diese Wiederkehr habe ich an jedem Ort.
Ach Sehnsucht, oh Sehnsucht

Mein Weg mag wohl nicht zum Meister führen.
Auf meine Wunde ist die Salbe nicht gestrichen.
Es gibt wohl kein Heilmittel für meinen Schmerz.
Ach Verwirrung, oh Verwirrung

Niyâzî brennt mit Schmerz.
Niemand kennt seinen Zustand.
Klagend betrat er den Weg.
Ach Tod, oh Tod
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* In der Gedichtsdeutung von Seyyid Muhammed Nur (m.1889) findet man die Anmerkung, dass dieser Vers, wie auch das gesamte Gedicht, sich auf das Ableben seines Sufimeisters Ümmi Sinan bezieht.
** Mecnun: literarische Gestalt eines unglücklich Liebenden; von Nizami in Leila und Mecnun verewigt.
*** Ferhad: aus einer persichen Liebeslegende: Ferhad und Schirin; worin Ferhad als Prüfung einen Berg in einer Nacht durchbohren muß. Im Sufismus wurde dieser Berg zum Symbol des Egoismus, bzw. der materiellen Dimension und deren Überwindung.

 

4. Uyan ġafletden ey ġâfil seni aldamasun dünyâ
Oh Achtloser, erwache aus der Unachtsamkeit,
auf dass dich die Welt nicht täusche.
Nimm deinen Kragen in die Hand,
denn sonst wird dich später
die Welt zum Gespött machen.

Für was hältst du diese Verräterin,
da du sie gar so lobst?
Jeder der sie geliebt hat,
wurde seines Glaubens beraubt.

Verfeinde dich mit niemanden,
denn deine Nefs* genügt dir als Feind.
Sie trennt sich keinesfalls von dir,
bis dass du ans Lebensende kommst.

Wieviele Zeichen und Berichte hast du
von Gott und dem Gesandten vernommen?
Wozu die Arbeit des Heiligen, wenn dir
diese Ratschläge überhaupt nicht langen.

Schließe deine äußeren Augen und richte
dein Herz und deine Liebe auf mich aus,
damit du in jedem Wort die Essenz
der Bedeutung zu vernehmen magst.

Versuche den Geschmack vom
Worte Mustafas in deinem Geist zu finden.
Denn tausend Mannas und Wachteln** sind
mit diesem Geschmack nicht vergleichbar.

Wenn du das vollkommene Glück suchst,
lies die Kor’ânverse.
Niyâzî, in jeden dieser Buchstaben
sind tausend einzigartige Perlen.
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* Nefs: die eigene Triebseele, wörtlich: Selbst, das nieder Selbst. Die Triebseele von negativen Eigenschaften zu reinigen und sich ihrer Suggestionen zu erwehren, ist eine Grundlage des Derwischweges. Ausspruch des Propheten Muhammed (s.a.v): Euer grösster Feind ist zwischen euren Körperhälften in Euch. Es ist eure Nefs.
** Die Speisen, die vom Himmel gesendet, dem Volk Israel nach dem Auszug aus Ägypten gegeben wurden.

 

5. Bahr içünde katreyüm
Ich bin ein Tropfen im Ozean,
doch der Ozean bewundert mich.
Ich bin ein Staubkorn in der Erde,
doch der Gottesthron betrachtet mich.

Der Freund wurde deutlich sichtbar,
und kein Ding blieb verborgen.
Wäre die Welt überflutet, wäre
diese Flut nur ein Tropfen für mich.

Im Außen ist für mich nur Dunst.
Meine Mine ist vom inneren Wert.
Würde heute die Auferstehung anbrechen,
brächte sie mich nicht in Verwirrung.

Ich bin der Anka-Vogel
vom Kâf-Berg des Herzens.*
Ich bin der Vertraute dieses Geheimnisses.
Ich bin die Frucht der Gedanken
und man gab mir den Namen Mensch.

Aus Niyâzî’s Herz spricht Jonas.**
Da jeder eine Seele braucht,
ist Jonas mir die Seele.
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* Anka und Kâf-Berg: alte Legende vom mystischen Vogel Anka, der auf dem Berg Kâf lebt.
Es wird als ein Symbol für die Seele und das Universum angesehen.
** Andeutung auf den Propheten Jonas (s.a.v.), wobei der Fisch als die äußere Dimension assoziieren läßt.

 

6. Ister isen marifetde olasın âlî-cenâb
Wenn du, oh edler Angesehener,
zur Gotteserkenntnis gelangen willst, so
sei dein Gesicht Erde am Saum der Gotteskenner.

Gib dich keinen Augenblick mehr der Welt hin,
zieh deine Hand zurück.
Du vermagst dieses überaus schwere Rad *
nicht zu drehen, mein Herr.

Wieviele haben versucht diese Ruine
in Stand zu setzen.
Während sie eine Seite richteten,
verfiel die andere.

Viele Unachtsame dachten, dass
diese Luftspiegelung Wasser sei.
Doch keiner von ihnen fand in
dieser Wüste einen Tropfen Wasser.

Zeige dich eine Zeit lang nicht den Menschen**
der Welt, ziehe dich zurück.
Sammle deinen Verstand an einem Ort.
Zieh den schwarzen Schleier über das Gesicht.

Verschliesse für eine Zeit fest die Tore
der Augen, der Ohren und der Zunge.
Vielleicht wird dir von seiten Gottes
zu deinem Herzen eine Tür geöffnet.

Wenn du sagst: Ich will mich vom Tod befreien,
so geh, komm an und sei ein Liebender.
Röste deinen Körper und deine Seele, indem
du sie immerzu am Liebesfeuer drehst.

Tritt ein in die Schmerzensschenke
und gib den Becher nicht aus der Hand.
Außer dem Blut des Herzens gibt es für
den wahren Liebenden keinen anderen Wein.

Wenn du Gott verstehen willst,
muß deine geistige Intention*** beständig sein.
Nichts in den zwei Welten hat den Vorzug
gegenüber dem Verdienst Gott zu kennen.

Wenn du die Entbindung von der Strafe des Jenseits finden möchtest,
werde ein Gottkenner, denn die gesamte Strafe
bricht wegen dem Feuer der Unkenntnis herein.****

Oh Sohn, Niyâzî spricht dies nicht von sich aus,
denn all das, was du hörst, wird von den
vom Himmel gesandten vier Büchern gesagt.*****
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* das Schicksalrad, welches die Geschicke dreht.
** Hinweise auf das Halvet, der Derwischklausur, worin man alleine
in einem abgedunkelten Raum betend und fastend eine bestimmte Zeit verbringt, zumeist 40 Tage.
*** Himmah, die geistige Intention, ist nicht nur das spirituelle Streben, sondern wird auf dem Weg der Wandlung zu einer psychokinetischen Kraft. Necmuddin Kubra: Die Himmah weicht nie vom Derwisch, sie ist sein Reittier.
**** Hz. Ali, (r.a.v.) Cousin des Propheten (s.a.v.): Das Höllenfeuer ist die ungenützte Erkenntniskraft, die über den Unwissenden hereinbricht.
***** Die vier Bücher: Thora, Psalmen, Neues Evangelium, Kur’an; wobei das Evangelium Jesu nicht auf die vier Apostelgeschichten beschränkt und gleichzusetzen ist.