ZUR SCHREIBWEISE: Wir verwenden hier die Umschrift aus dem Arabischen nach dem Transkriptionssystem der türkischen Islam Ansiklopedisi (IA), jedoch in vereinfachter Form, da gewisse Buchstaben nicht im Html-Code des Internet darstellbar sind. So kommt diese Schreibweise dem Neutürkischen nahe. Necmeddîn el-Kübrâ wird nach dem Englischen System (EI) Najm ad-Dîn al-Kubrâ geschrieben, in der deutschen Form (DMG) Naǧmuddîn al-Kubrâ. Die gängigen, nichtwissenschaftlichen Schreibformen sind ohne Transkriptionszeichen und/oder Artikel: Najmaddin Kubra, Nacmaddin Kubra, Najm ad-Din Kubra, Nadschmuddin Kubra, Necmeddin Kübra.
Leben und Werk des Necmeddîn el-Kübrâ
Necmeddîn el-Kübrâ (m. 618/1221) hatte den eigentlichen Namen Abu el-Cennab Ahmed ibn 'Ömer ibn Muhammed ibn 'Abd Allâh el-Hivakî el-Horasamî, und war bekannt unter dem Beinamen „Heiligenschnitzer“ şeyh-e velî taraş, da eine beträchtliche Anzahl von seinen Schüler selbst segensreiche Sufimeister wurden. Von Hiva, abstammend ging er nach West-Usbekistan und lebte in der Nähe der damaligen Residenzstadt, Horasan. Necmeddîn el-Kübrâ wurde anscheinend während der Verteidigung Horasans gegen die Mongol am Zehnten Cami'ül-evvel 618/1221 getötet. Sein Grab befindet sich heute in der Stadt of Kunya Urgenc, die im Gebiet der völlig zerstörten Stadt Horasans aufgebaut wurde. Dort ist er bekannt als der Kebir Ata, der große Vater. Kunya Urgenc befindet sich in Turkmenistan und ist ungefähr eine Stunde von Nukus in der Karakalpak Region Usbekistans entfernt.
In seiner Jugend reiste Necmeddîn el-Kübrâ ausgiebig und in Ägypten schloß er sich dem Kreis um den Sufimeister Ruzbahan Mısrî an. Kubrâ stieg bald zum Meisterschüler auf und Ruzbahan gab ihm seine Tochter zur Frau. Kubrâ unternahm sodann weitere Lehrreisen zu anderen Meistern und als er nach Ägypten zu Ruzbahan zurückgekehrt war, erkannte der Meister, dass Kubrâ die spirituellen Reisestationen (süluk) ebenso durchschritten hatte und die Transformation zur Gottesliebe (ask) wohlgehalten erreicht hatte. Darum gab er ihm den Rat nach seiner Heimat Hiyuk zurückzukehren und dort die Erziehung der Schüler zu leiten. Necmeddîn el-Kübrâ gründete sodann dort eine khanikah, ein Konvent, und initierte den Kubraviye-Orden. Viele Orden beziehen sich auf ihm. Eine Besonderheit seines Wirkens ist die detailierte Beschreibung von transpersonalen Zuständen, die mittels der Farb- und Formerscheinungen in der Dimension alem-i misal, der Welt der Sinnbilder, erfasst werden.
Unter den acht Werken, die ihm zugeordnet werden, befindet sich eine Kur'ân – Exegese (tefsîr) die ayna el-hayat, die jedoch nur in eingeflochtener Form bei den tefsîr- Werken der Kubraviye-Şeyhs Nacmeddîn Razî und Ala davla Simnânî auftauchen. Die kleine Abhandlung in Persisch unter dem Titel fi edebü’s-salikin ("Die Regeln des Reisenden“) findet sich in anderer Form in Arabisch als edebü’s-suluk ila hazret malikü’l-muluk, die aus zwei Bereichen besteht und die Annäherung zu Gott durch verschieden Schleier aus Dunkelheit und Licht beschreibt.
Die bekannteste Arbeit Kübrâs ist die risâle usûl-i aşere, die zehn Regeln, die in vielen Bibliotheken auffindbar ist. Sie besteht aus kurzen Anweisungen, die zu vielen Interpretationsarbeiten verlockt hatte. Eine hiervon ist die von Ismail Hakkî Bursevî, die şehr-i usûl-i asere.
Die risâle ile’l-hâimi’l-hâif min levmeti’l-laim geht detailierter auf die Methoden der Wandlung ein und hat u.a. Kapitel über die Wirksamkeit der Zikr-Gebete, des Fastens, der Klausur und der verschieden Arten der Eingebung.
Die hier vorliegenden Kapitel der Arbeit, die fevâ'ihu'l-cemâl ve fevâtihü’l-celâl, zeigen persönliche Erfahrungen des Mystikers, die er zu Unterlegung der Themen verwendet hatte. Sie geben einen seltenen Einblick in die inneren Erfahrungswelten eines Sufimeisters wieder. Diese risâle wurde von dem bekannten Orientalisten Fritz Meier im arabischen Original editiert. („Die fawâ’ih al-ǧamâl fawâtih al-ǧalâl des Naǧmuddîn al-Kubrâ“ ed.F.Meier, Wiesbaden 1957)
Fevâ'ihü'l-cemâl ve fevâtihü'l-celâl
Auszüge aus dem Buch
des Necmeddîn el-Kübrâ
"Der Duft der Pracht und die Eröffnung der Macht"
Verlag silsile, Wien 2009
Alle Rechte sind beim Verlag
Mein lieber Freund wisse wohl, daß Gott dich in dem, was Er liebt und was Ihn zufriedenstellt, dich unterstützt.
Gott ist das Erstrebte (murad) und das Erstrebende (murid) ist ein Licht von Ihm. Gott beließ niemanden in der Dunkelheit und keinem tat Er unrecht. denn in jedem schuf Er einen Geist von sich und eine darin befindliche Vernunft. Einem jedem gab Er "Gehör, Sicht, und Herz."(Qur’ân 46/26)
Jedoch sind alle Menschen blind, außer jene, denen Gott den bedeckenden Schleier hob und die außerhalb dieser Bedeckung bleiben. Diese Bedeckung ist nicht etwas, das von den Menschen getrennt ist, im Gegenteil: es ist die eigene Dunkelheit, die Dunkelheit der eigenen körperlichen Existenz (vücud).
Mein lieber Freund, schließe deine zwei Augen und laß uns sehen, was und wie du siehst. Wenn du sodann sagst: "Ich sehe nichts.", so irrst du dich. Dein Nichtsehenkönnen kommt aus dir selbst hervor.
Eigentlich siehst du in diesem Augenblick die Dunkelheit sehr wohl. Aber wenn du die Dunkelheit deiner Existenz und deiner Verkörperung entfernst, wirst du sie aus diesem Grund ebenso nicht sehen und finden können. So du jedoch deine Augen geschlossen hast, und die Dunkelheit sehen möchtest, verringere einige Dinge deiner Existenz, oder besser bezeichnet, entferne eine Gruppe von Dingen deiner Existenz. Dieser Weg der Verringerung und Entfernung ist das geistige Ringen (mücâhede). In diesem Ringen wird das Fremdartige (asyar) vertrieben und sogar getötet. Das heißt, es sind Mühen und Anstrengungen von Nöten. Das Fremdartige sind die Existenz, die Triebseele (nefs) und der Teufel.
Dieses geistige Ringen bestehet aus drei Wegen:
I. den Körper langsam an eine Verringerung der Nahrung zu gewöhnen. Denn die Nahrung ist eine Kraftquelle für die Triebseele des Körpers, ebenso auch für den Teufel. Ist die Nahrung verringert, ist auch das Fremdregieren und Herrschen über den Geist verringert.
II. das Aufgeben von Auswahl, Wollen und eigenen Ermessen. Es ist das Anvertrauen des Willens an einen befugten Meister (şeyh) und Lehrer, dem dies übertragen wird. Dieses Vorzuggeben ist für dich eine passende Angelegenheit, denn der Schüler ist wie ein kleines Kind. Da das Alter der Reife noch nicht erlangt ist, steht der Şeyh zum Schüler wie ein Vormund, der den sinnlos Geld um sich werfenden, ausschweifenden Menschen eine Ration bemisst.
III. die bekannten acht Vorschriften des Weges (tarikat) des Cüneyd Baġdadi's. Das Erfüllen dieser Vorschriften sind:
1. andauernde rituelle Reinheit (abdest)
2. andauerndes Fasten
3. beständiges Schweigen
4. ständiger Rückzug (halvet)
5. ständiges Gottesgedenken (zikr)
6. dauernde Herzensverbundenheit zum Şeyh
In der Unterordnung der eigenen Verfügung unter der des Şeyhs zieht man bezüglich des Wissens um die wahren Umstände (ilm-i vakiat) daraus einen großen Vorteil.
7. konsequentes Nichtbeachten von Einfällen und Erinnerungen, und diese nicht ins Gedächtnis zurückholen
8.sich nicht der Dinge, die von Gott kommen, ob zu unserem Vorteil oder Nachteil, entgegen zu setzen. So auch das Ablassen den Himmel von Ihm zu erwünschen, oder vor der Hölle bewahrt zu bleiben.
Die Unterschiede zwischen der körperlichen Existenz, der Triebseele und dem Teufel im Stadium des geistigen Ringens
Die Existenz (vücud), nämlich der Körper des Menschen, ist im ersten Unternehmen wie die Schwärze einer Regenwolke. In etwas gereinigtem Zustand erscheint sie als dunkelgräuliche Wolke. Wenn sie zum Sitz des Teufels wird, rötet sie sich. Wenn sie ein wenig mehr von den materiellen Gelüsten und Genüssen enthoben ist und mittels Göttlicher Wahrheiten in das Bestehen übergeht, ist sie im gereinigten Stadium weiß wie eine Wolke. Die Triebseele hat die blaue Farbe des Mittaghimmels. Sie quillt wie das Wasser in einer sprudelnden Quelle hervor. Wenn sie zum Sitz des Teufels wird, nimmt sie eine dunkle und feurige Substanz an und ihr Sprudeln ist etwas geringer. Beim Teufel in der Existenz der Triebseele gibt es keinen Segen und im Benehmen nichts Gutes. Ist sie gereinigt und geläutert, erweist sie Wohltaten und sie bereitet aus sich selbst Gutes für sich selbst und Gutes und nützliche Dinge kommt aus ihr hervor. Ist sie von Bosheit und Schlechtigkeit erfüllt, bringt sie dies ebenso hervor.
Der Teufel erscheint als ein unreines Feuer, das mit Wolken voller Verfluchungen vermengt ist. Er nimmt vor einem die Gestalt gleich einem groß gewachsenen Afrikaner ein, und diese Gestalt zeigt sich in einer besonderen Größe. In hochmütiger Weise kommt er nahe herangelaufen. So du in jenem Moment von ihm entfernt und getrennnt bleiben möchtest, bitte aus deinem Herzen:"Oh Helfer, Der um Hilfe Bittenden, hilf!" Sofort wird er flüchten, aber vergiss nicht, dass, so er dich sieht, du ihn ebenso siehst. Dies ist wie ein Kleid, das an das Kleid angenäht ist.Wenn du die zwei Kleider trennst oder zerreißt, ist sein Auge erblindet und er kann nicht sehen. Auch wenn du seinem Kleid entschlüpft bist, verstehe dies wohl, ist er trotzdem dort, wo du bist. Er fühlt die Verbindung zu dir. Gelegentlich schlägt er dich, auf dass du ihn verfluchst, denn er will eine gemeinsame Sache mit dir haben. Er will ein gemeinsames Spiel und einen Wettkampf. Wenn du ihn verfluchst, ohrfeigst und mit ihm sprichst, spricht er mit dir und treibt seine Späße mit dir, und wird durch die Flüche stärker und damit verlängert er die Angelegenheit mit dir. So man aber schweigt und er einen schlägt, jedoch nicht zurückschlägt und stattdessen sich Gott anbefiehlt, wird er dich darum nicht mehr schlagen können und sich von dir entfernen. So du wieder in deinem Herzen sprichst: "Oh Helfer, Der um Hilfe Bittenden, eile mir zu Hilfe!" und du bei deinem Herrn Zuflucht nimmst, wird er ebenso flüchten.