Interpretation des Gleichnisses über die Schöpfung und der Zeit im
Werk Hazâyinü s-sa'âdet des Eshref bin Mehemmed (Anatolien, 15.Jh.)
Er (Gott) schuf eine sechsseitige drehende Stadt. In eine neunstöckige Burg bereite Er sieben Liegestätten aus. Von vier Müttern und sieben Vätern brachte Er drei Söhne ins Dasein. Sie essen ihre Speise von einem Baum, der an zwölf Ästen, 365 Blätter hat. Auf den zwei Seiten des Blattes schrieb Er 24 Zeilen, eine Seite in Silber und eine in Eisen, In jeder Zeile fasste er Wörter, in jedes Wort Buchstaben und in jeden Buchstaben eine Bedeutung, und von einer Bedeutung vervollständigte Er die Kraft ihrer Natur.“ (1b,1.ff)
In dem Gleichnis finden wir gemeingültige Symboliken einer islamischen Weltsicht, die durch eine mystisch-visionäre Bilderwelt geprägt ist. Die Bedeutung des Bildhaften bzw. des Imaginativen wird als ein Brückenschlag in die höheren Wirklichkeitsebenen erachtet. Die Ausdeutung bedarf jedoch einer gründlichen Interpretationserfahrung. Die Symboliken in dem Text sind der Reihe nach ausgelegt, und werden zuletzt in einem Resümee zusammengefasst.
Die sechsseitige drehende Stadt bezieht sich auf die 4 Himmelsrichtungen plus der Richtung oben und unten, und gilt als Synonym für die Welt. Des weiteren ist der hexagonale Aufbau der häufigsten chemischen Substanzen wie Wasserstoff, Natrium und Silizium auch seit altershehr in Eiskristallen, den Salzen und Bergkristallen ersichtlich. Weiters wird in der Kosmologie Ibn 'Arabis das Universum in sechs Bereiche unterteilt:
„..Obwohl es viele solche Bereiche gibt, lassen sie sich alle auf sechs grundlegende Bereiche zurückführen. Der erste Bereich ist (der vor unserer Existenz gelegene Bereich, in dem uns die Frage gestellt wird) „Bin nicht Ich dein Herr?“ Unsere körperliche Existenz hat uns aus diesem Bereich verbannt. Der zweite Bereich ist die Welt, in der wir jetzt sind. Der dritte Bereich ist der, durch den wir uns in der Zeit zwischen dem kleineren und größerem Tod bewegen. Der vierte Bereich ist der der Auferstehung auf der erwachenden Erde und der Rückkehr zum Urzustand. Der fünfte Bereich ist der des Gartens und des Feuers. Der sechste Bereich ist die Sanddüne außerhalb des Gartens.“ „risalatu al-anwar fima yumnah sahib al-khalwa min al-asrar“ Ibn 'Arabi[1]
Die neunstöckige Burg zeigt die neun Himmelssphären an: Der Thron, der Schemel und die sieben Himmel, sieben Planetensphären beinhaltend. Im Sinne der Kosmologie al-Simnânis, bzw. in Ibn ˓Arabis Hermeneutik sind sie folgend bezeichnet:
1.die Sphäre der Burgen (burûj) des Zodiaks, auch al-falak al-atlas, der Himmel ohne Sterne:
dies entspricht den 12 Sternbildern der Astrologie, jedoch nicht der Astronomie. Dieser Bereich ist die äußerste feinstoffliche Ebene des Räumlichen; räumlich aber nicht im Sinne des Materiellen, sondern sind der Region der Urbilder ('alem al-mithal) angehörend. Diese Sphäre dient als Mittler zwischen der Welt des Unsichtbaren und der Welt der planetaren Körper.
2.die Sphäre der Stationen, oder der Fixsterne (falak al-manâzil) ist die Spiegelung der geistigen Prinzipien in den Bereich der Himmelskonstellationen. Hier sind die sichtbaren Sternbilder des Zodiaks zu finden.
3.-9. Sphären der sieben Planeten: Saturn (az-zuhal), Jupiter (al-mushtarî), Mars (al-mirikh), Sonne (ash-shams), Venus (az-zuhrar), Merkur (al-utarid) und der Mond (al-qamar). Sie werden als die sieben Väter erwähnt. Sie wohnen den sieben Himmeln (sieben Liegestätten) inne und ihnen werden ebenso die Aufenthaltsorte der Propheten zugeordnet.
Die vier Mütter sind die vier Elemente: Feuer, Luft, Wasser und Erde. Die Elemente haben entsprechende Eigenschaften, wie heiß, trocken, nass und kalt, was auch die Grundlage der Viersäfte- Lehre in der orientalischen Medizin belegt. Diese Eigenschaften korrespondieren mit den sieben Prinzipien, die durch die Planeten repräsentiert sind. Die drei Söhne der vier Mütter (Elemente) und der sieben Väter (Planeten) sind die Mineralien, die Pflanzen und die Tiere.[2]
„Die höheren himmlischen Substanzen resultieren in der Ausstrahlung der Sphären, welche neun an der Zahl sind und in absteigender Reihenfolge angelegt sind. Die erste Sphäre und höchster Himmel ist der „Göttliche Fußschemel“, für Nicht-Mystiker als die Sphäre des Atlas oder der Himmel der Himmel bezeichnet. Der nächste Himmel ist die Sphäre, die die Konstellationen beinhaltet, anderseits bekannt als die Sphäre der Fixsterne. Diese wird gefolgt von den Sphären des Saturns, des Jupiters, des Mars, der Sonne, der Venus, des Merkurs. Die letzte Sphäre ist die des Mondes, nach der das subluneare irdische Reich beginnt. Diese Himmel verkörpern die Seele und die Intellekte, welche kombiniert mit der geregelten
Bewegung der neun Sphären das Beste der Formen zum Vorschein bringen, und die Ausstrahlung des sublunearen Reiches verursacht. Als ein Ergebnis hiervon sind diese Sphären als aktive Vermittler (fa'il) bezeichnet worden. Den neun Himmel folgen die vier sublunearen Sphären der Elemente. Sie sind, gemäß ihrer Reihenfolge des Erscheinens, die Sphäre des Äthers, welcher sich durch das Feuer manifestiert, dann der Sphäre der Luft, dessen Zeichen der Wind ist, sodann der des Wassers und letztlich der Erde. Diese vier Sphären werden durch die Bewegung der Sphären und durch die Vermittlung der höheren Väter in die Existenz gebracht, und als ein Ergebnis hiervon die niederen Mütter genannt. Diese niederen Mütter besitzen die Möglichkeit oder Potentialität (qabiliyyat), während die höheren Väter die Handlung darstellen (fi'liyyat).
Die Kombination der Handlung und der Potentialität bewirkt in der Art der Nachkommenschaft (mawâlid) die Ausstrahlung aller Substanzen, die auf der irdischen Ebene existieren. Die erste dieser irdischen Ausstrahlungen die durch diese Kombination der aktiven, höheren Väter und dem Potential, den niederen Müttern, produziert werden, ist die unbelebte Materie, die zweite Kategorie irdischer Ausstrahlungen beherrscht die Pflanzen, die 3.Kategorie bezeichnet die Tiere. Aber eigentlich handelt sich hierbei um die Tier und Menschkreaturen.
„.. das Menschenwesen,. der letzte Nachkomme (khâtim-i mawâlîd), ist der Träger des heiligen Treupfandes (amâna) des Wissens von den Göttlichen Namen, Eigenschaften und Essenzen, würdig in der Stellvertreterschaft (khilâfat) Gottes, erhaben ist Er." Fath al-mubîn, 8a-b, al-Simnâni [3]
Der Baum im Gleichnis Eshrefs ist ein Ausdruck der Kraftverteilung im Zeitfluss. Es ist der Baum des Lebens, dessen Früchte die Erhaltung des Lebens bewirken. Die zwölf Äste sind die Monate des Jahres, die 365 Blätter sind die Tage des Jahres, die zwei Seiten des Blattes sind Tag und Nacht, die eiserne Seite entspricht der Tätigkeit des Tages (Mars), und die silberne der Stille der Nacht (Mond). Die 24 Zeilen sind die Stunden, die Wörter den Minuten und die Buchstaben den Augenblicken.
Jeder Augenblick ist wiederum Träger einer Botschaft, die als der Inhalt - die Bedeutung (ma'na) des Augenblicks - verstanden werden kann. Das Wissen um die Bedeutungen der Buchstaben (ilm-i hurûf) galt im Orient als die Hochkunst der Deutung des Augenblickes im Augenblick, der Manifestationen Gottes (tacali). So wie ein Buchstabe nicht ohne Atem ausgesprochen werden kann, und ein Augenblick mit einem Atemzug gleich benannt ist (dem), ist es der Atemhauch Gottes, der in jedem Nu die Schöpfung aufs Neue hervorbringt (vgl.Qur'ân 50:14: „..sind sie im Zweifel an einer neuen Schöpfung“).
„Der Buchstabe einer Sache ist ihre manifeste Dimension, die Bedeutung (ma'na) ist ihre nicht-manifestierte Dimension. Kurz gefasst: „Die gesamte Welt ist ein Buchstabe, der hervorkam um eine Bedeutung zum Ausdruck zu bringen. Seine Bedeutung ist Gott...so hört die Bedeutung niemals auf mit dem Buchstaben verbunden zu sein: Gott spricht: Er ist mit dir, wo auch immer du bist.(Qur'ân 57:4)“ Ibn 'Arabi, al-Futûhât al-makkiya III,148.10 [4]
Im Kommentar des Abdul Karim Jili über das zuvor erwähnte Werk „risalat al-anwar“ Ibn 'Arabis wird über die Bedeutsamkeit des Augenblicks referiert:
„Wisse, dass die Welt in jedem Augenblick durch einen überwältigenden Sieg der Einheit (ahadiyya) über die Vielheit zur Nichtexistenz verschwindet. Allerdings wird (in jedem Augenblick) durch die Autorität der essentiellen Liebe ein Abbild der soeben verschwundenen Welt erzeugt, denn die Existenz der Welt ist das Herankommen ihrer Nichtexistenz. So schreibt das Manifestierte dem an erster Stelle gelegenen Verborgenen die Manifestation vor, und so wird die Welt geschaffen. Als nächstes schreibt das Verborgene dem zuerst manifest Gewordenen die Verborgenheit vor, und die Welt verschwindet. Dann kehrt die Autorität zum manifest Gewordenen zurück – und so geht das in Ewigkeit weiter. Das ist es was „erneuerte Schöpfung“ (khalq jahid) genannt wird. Die eingebildete Fortdauer der Dinge, die aus diesem Fluss ähnlicher Erscheinungen zu resultieren scheint, ist die Zeit, und die Bewegung ist deren Maß. Alles außer Gott ist zeitlich. Wenn es unmöglich ist, dass die (wirkliche) Dauer eines Ereignisses mehr als einen Augenblick beträgt, dann ist jedes Geschehen „das Erzeugnis eines Augenblickes“ und sonst nichts. Das Geschehen ist für seinen Augenblick notwendig, und der Augenblick ist für das Geschehen notwendig. Oder vielmehr: der Augenblick bestimmt im wesentlichen das Geschehen, das von diesem nicht getrennt werden kann. So ist der Augenblick der Platz des Ereignisses oder sein Bereich (watan)....deshalb hat der Shaikh (Ibn 'Arabi) gesagt: “Unter Bereichen verstehe ich die Inhalte von Augenblicken, in denen Dinge Existenz bekommen und in denen die Wahrnehmung tatsächlich stattfindet.“
Resümee:
Eshref Mehemmed erweist uns in seinem Gleichnis über die Schöpfung den außerordentlichen Dienst, eine Zusammenstellung der islamischen Kosmologie anhand einfacher Bilder darzulegen. Er verwendet allgemeingültige Idiome, die in der Literatur des gesamten Orient zu finden sind. Die Assoziationen hierzu sind gemeinhin ähnlich, und ebenso vom Verfasser des Gleichnisses erwünscht. Die Aneinanderreihung von bekannten Bildelementen zeigt sich als eine Kunst Assoziationsketten so zu knüpfen, so dass
a) der Hörer oder Leser aus seiner eigenen Empfindungswelt schöpfen kann,
b) dieser mittels der Reihenfolge der Bildelemente in seinen Empfindungsverlauf geführt wird, und
c) zu neuen Aspekten des Gewussten oder zu Erweiterungen des Bekannten angeregt wird.
Ein Beispiel hierzu: Gott schuf eine sechsseitige drehende Stadt.
Es zeichnet sich eine Welt im Gedächtnis des Hörers ab; eine Stadt basiert auf geordneten Verhältnissen; in ihr sind Straßen, Häuser und Plätze errichtet. Die Assoziation sagt uns, dass die Schöpfung nach geordneten Prinzipien aufbaut ist. Diese Ordnung ist jedoch in Bewegung, sie ist nicht tot, sondern sie dreht sich, und weist in sechs Richtungen. Statisches und Dynamisches sind in ein Bild gesetzt worden, dass von sechs verschiedenen Seiten betrachtet werden kann.
Zum Abschluss seines Gleichnisses über die Schöpfung und die Zeit verweist Eshref auf die Bedeutung von der Bedeutung (ma'ana kim bir ma'anadan). Hier zeigt sich sein intuitives Wissen:
Ein Mensch versucht anhand seiner Fähigkeiten einer Situation gerecht zu werden, indem er sie analysiert um sich so auf sie einstellen zu können. Die Situation, in ihrem eigentlichen Geschehen, ist jedoch etwas anderes als die erwartete Handlung. Unabdingbar bedürfen wir in unserem Leben einer gewissen Vorbereitung auf die Umstände, die uns begegnen, jedoch dürfen diese Vorbereitungen im essentiellen nicht von der Geistesgegenwart ablenken. Das heißt in diesem Zusammenhang: Wisse um den Augenblick in seiner Bedeutsamkeit, aber sei sodann in diesem Augenblick frei von deinem Wissen.
Das Finale der Darlegung Eshrefs ist der Verweis darauf, dass alle Kraft der Weltengeschöpfe aus einem spezifischen Augenblick gespeist wird. Dieser Aussage liegt das Prinzip der stetigen Wiedererschaffung allen Seins zugrunde. In diesem Sinne manifestiert sich Gott in diesem Augenblick als wahre Kraft der Natur. Wir wissen heute aus der Photonen-Forschung, dass sich die kleinsten materiell-bestimmbaren Teile pulsierend stetig entmaterialisieren und wieder manifestieren. Der Sufi als Sohn des Augenblicks weiß um diese Dinge.
Ein weiterer Aspekt des her harfde niçe ma'na macana kim bir ma'anadan quvvet-i tabi'iyyi ol mevalid-i selasede 'amm qildi liegt in dem Wort tabi'at (Natur) dessen arabische Konsonantenwurzel t-b-' für prägen bzw. Siegel machen steht. So kann die Natur als ein Siegel, als Prägung oder in anderen Worten als Matrix erachtet werden, worin die universelle Kraft in bestimmte Musterbahnen gelenkt wird. (vgl.Theodor Schwenk,“Das sensible Chaos“) Allgemein gesprochen ergießt sich jeder Augenblick die universelle Kraft in die Form und prägt diese ebenso. Im Speziellen weist Ibn Arabi darauf hin, dass die Feder 360x am Tag ansetzt, wobei er aber nicht den erste Ansatz der Feder auf die wohlverwahrte Tafel erwähnt. In der Parabel des Eshref bin Mehemmed wird jedoch von einem spezifischen Augenblick gesprochen. Wann findet dieser, wenn er sich auf den Tag bezieht, bzw. auf das Jahr statt? Astronomisch wird von je her der 21.März als der Neubeginn eines Jahreszyklus aufgefasst. In der persischen Welt wird hiermit ebenso die Erschaffung des Menschen assoziert. Im Wochenzyklus ist im Islam der Freitag Mittag die entsprechende Zeit. Und auf den Tag angewendet weist ein Hadith des Propheten auf das letzte Drittel der Nacht, worin das Herabsteigen der Gottes Gegenwart erwähnt wird. Diese gesegnete Zeit hält an bis zum Sonnenaufgang, reicht also in die Zeit des Morgengebetes hinein. In einem weiteren Hadith wird besagt, dass die erste Gebetseinheit des Morgengebetes einen höheren Wert hat, als alles was die Welt beinhaltet. Das krönende Finale dieser Zeitdauer ist der Tagesanbruch, worin die langsame Schwingungsfrequenz der Nacht zu einem Stillstand kommt, ein Moment der Ruhe eintretet, und dernach die doppelt so schnelle Frequenz des Tages beginnt. Diese Ruhe wird als ein Augenblick der Einheit allen Seins erachtet (Turgut Söylemezoghlu). Im letzten Drittel der Nacht findet die Tiefschlafphase statt , und die Aktivitäten des Körpers kommen hierbei ebenso zu einem maximalen Ruhepunkt. In dieser Zeit wird die Restutitionskraft des Organismus eingeleitet, und die Ruhe des Organismus ist ein Hinweis auf seine aufnehmende Phase.
Aber so wie die Nacht der Macht (Kadirgece), die Nacht der ersten koranischen Offenbarung, welche „besser ist als tausend Monde“, nur im ungefähren auf einer der letzten ungeraden Tage des Monats Ramadhan bestimmbar ist, ist der Gläubige ebenso aufgerufen, die Wirklichkeit dessen durch Gebet und Kontemplation selbst zu erfassen.
Eshref bin Mehemmed beweist mit dem Erfassen des quantitativen und qualitativen Aspektes der Zeit seinen Sinn für die Inhalte der Augenblicke, und so vermag dieser Arzt den Geist mit den Körper mittels zweier Augen zu sehen und ist dadurch wahrlich ein Hakim.
[1] Die Reise zum Herrn der Macht, Ibn 'Arabi übers. Rabia T. Harris, Freiburg 1984, p 37.
[2] Mystical Astrology according to Ibn 'Arabi, Titus Burckhard, Louisville 2001
[3] „The Throne Carrier of God, the life and thought of ˓Ala ˓ad-dawla as – Simnânî „ Jamal J. Elias / N.Y. 1995, p 72.
[4]The Meccan Revelations Vol.1; Chodkiewicz,Chittick,Morris, p 241